February 24, 2016

Kongruente Übersetzungen finden?

By admin-emal-283 Views-No Comment

Im einem Lokalisierungsprojekt auf Transifex tauchte ein Problem auf, das ich versuche anhand der Beispiele „Leistungsbezieher“ und „benefits claimant“ zu verdeutlichen. Beides bedeutet ungefähr dasselbe. „Leistungsbezieher“ ist etwas neutraler und wird in amtlichen Anträgen verwendet. „Benefits claimant“ wird in der englischen Boulevardpresse auch abwertend für „Sozialhilfeempfänger“ verwendet, beschreibt aber an sich nur einen Menschen der Leistungen bezieht.

Wichtig ist die Schreibweise. „Benefit claimant“ (also „benefit“ als Singular) eingegeben bei Google findet nur Einträge aus deutschen Wörterbüchern, während „benefits claimant“ Zeitungsberichte aus der englischen Presse findet. Allerdings tritt „benefit claimant“ (36.600 Treffer) insgesamt häufiger auf als „benefits claimant“ (27.500 Treffer).

Das eigentliche Problem: Die Begriffe existieren nebeneinander her. Ein britscher Muttersprachler wird „benefits claimant“ sofort verstehen und ein BRD-Bürger wird auch „Leistungsbezieher“ verstehen. Aber kein statisches Wörterbuch liefert auf Anhieb eine passende Übersetzung. Statt eines kongruenten Begriffs bieten sie deskriptive Phrasen.

„Leistungsbezieher“„benefits claimant”
Dict.cc (statisch)person drawing benefit, recipient of benefit, person in receipt of benefitnur Treffer für “claimant” und für “benefits”
Dict.leo.org (statisch)person drawing benefit, recipient of benefit, person in receipt of benefitnur Treffer für “claimant” und für “benefits”
linguee.de[1] (statisch + Konkordanz)recipient of benefit (statischer Eintrag); unterschiedliche Konkordanztreffer: „benefit recipient“, „beneficiary“, „recipient“Das statische Wörterbuch findet ebenfalls nur Treffer für die getrennten Begriffe; in der Konkordanzsuche erscheint ein brauchbarer Treffer: „SozialhilfebezieherInnen“
Google MÜ (Konkordanz)beneficiaries, benefit recipients, benefit claimants, drawing benefits, benefit recipiencyVorteile Antragsteller
Bing MÜ (Konkordanz)beneficiariesVorteile-Kläger

Tabelle 1 – Vergleich verschiedener Wörterbücher

Für „Leistungsbezieher“ ist Google MÜ die einzige Quelle, die Komposita als Übersetzung anbietet. Allerdings erkennt Google MÜ nicht, ob „-bezieher“ in der Einzahl oder Mehrzahl ist.

Die statischen Wörterbücher bieten deskriptive Übersetzungen, die zwar korrekt sind, aber in einem flüssigen Text (bspw. Nachrichten) Stocken verursachen würden. Hier zeigt sich die Schwäche der menschlichen Intervention – Terminologen können Begriffe zwar genau definieren, aber sie können nicht in Sekundenbruchteilen alle vorhandenen Übersetzungen analysieren und einen statistischen Treffer ermitteln.

Bei der Übersetzung vom Englischen ins Deutsche versagen alle Quellen. Die grundlegende Schwäche ist, dass weder die statischen Wörterbücher noch die MÜ-Dienste Komposita auf Englisch erkennen können, da die einzelnen Wortteile nicht miteinander verbunden oder flektiert sind. Außerdem scheint speziell dieser Begriff wesentlich seltener in die die Sprachrichtung Englisch>Deutsch übersetzt zu werden als umgekehrt.

Allerdings sind konkordanzbasierte MÜ-Dienste wesentlich flexibler als redaktionsgesteuerte Wörterbücher, wenn auch weniger präzise. Die gefundenen Übersetzungen nähern sich recht gut an das gesuchte Wort an, wenn ein ausreichend großer Korpus vorhanden ist. Die statischen Wörterbucheinträge sind korrekt, aber müssen eventuell für den Zieltext modifziert werden. Kreativität ist in beiden Fällen gefragt. Kreativität kostet den Übersetzer Zeit und den Kunden Geld: „Translators are like printers: When they have to get creative, they jam.”

In beiden Suchrichtungen könnte eine statistische Voranalyse hilfreich sein: Das Programm müsste bspw. erkennen dass „Leistungsbezieher“ ein selteneres Synonym für „Leistungsempfänger“ ist; für diesen Begriff liefern auch statische Wörterbücher mehr Ergebnisse. Ein menschlicher Übersetzer würde das Synonym vielleicht nicht sofort erkennen. Einge englische Voranalyse würde ergeben, dass „benefits claimant“ 27.500 Google-Treffer erzielt, also mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Kompositum ist.

Dieser kurze Fall lässt vermuten, dass offene statistische Konkordanzssuchen auch für das Nachschlagen einzelner Wörter traditionellen Wörterbüchern überlegen sind, weil sie schneller lernen als menschliche Redakteure moderieren können.

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[1] Linguee ist eine Kombination aus moderiertem, statischen Wörterbuch und TM-Konkordanzsuche. Also werden viele moderierte Nutzerübersetzungen angezeigt. Für diese Suche bietet jedes Segment eine andere Übersetzung, also wüsste man nicht, was auf Englisch die meistgenutzte Variante ist.

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